18. März 2020 (aktualisiert am 23. September 2021) Erstellt von Viktoria Szostakowski Digitalisierung
Seitdem auch in Deutschland die Corona-Krise eingezogen ist, sind sämtliche öffentliche Einrichtungen geschlossen, soziale Kontakte sollen auf das Nötigste reduziert und so einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus entgegengestemmt werden. Zu den geschlossenen Einrichtungen zählen auch Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten. Doch sind diese auf solch einen Ausnahmezustand vorbereitet? Besteht eine digitale Alternative oder gibt es noch Nachholbedarf, der sich nun rächt?
Aufgrund der Corona-Krise in Deutschland sind Bildungseinrichtungen für unbestimmte Zeit geschlossen. Das bedeutet jedoch keine neu eingeräumten Ferien. Schließlich muss trotz der Krise der Bildungsstand in Deutschland aufrechterhalten werden und Schulabschlüsse, wie beispielsweise die in Kürze anstehenden Abitur-Prüfungen, gewährleistet werden.
Schulen in ganz Deutschland stehen jetzt vor der Frage, wie die Lehre trotz Krise gewährleistet werden soll. Eine Lösung wäre digitaler Unterricht, auch als E-Learning-Plattformen bezeichnet. Jedoch zeigt die Krisensituation, wie schwach Deutschland tatsächlich aufgestellt ist. Im europäischen Vergleich schließt Deutschland sehr schlecht ab, genauer gesagt am schlechtesten. Die Studie des CEPS zeigt, dass Deutschland in Sachen E-Learning den letzten Platz belegt.
Schulen mussten schnell auf die Krise reagieren und setzten erstmal notgedrungen auf einfache Lösungen. Es werden Arbeitsblätter bereitgestellt und per E-Mail an Schüler oder Eltern geschickt. Der Zugang zu entsprechender Hardware, sprich Computer und Drucker, und zum Internet wird als gegeben vorausgesetzt. Die Aufgaben sind nun von zuhause aus zu bearbeiten.
Zudem soll kein wirklicher Unterricht stattfinden, also keine neuen Lerninhalte eingeführt, sondern bereits Gelerntes wiederholt und gefestigt werden. Das Problem sei die Möglichkeit und die Umsetzung der Lehre. Das Lehrpersonal steht vor der Herausforderung, inwiefern neue Inhalte angemessen und verständlich online vermittelt werden können. Da eine Lösung noch fern ist, sind zentrale Prüfungen zunächst auf Alternativtermine verschoben. Ob sie dann stattfinden werden oder noch weiter verschoben werden, kann im Moment niemand sagen.
Was lange Zeit vor sich hingeschoben wurde, kommt nun zum Vorschein und rächt sich. Die schlechte digitale Ausstattung Deutschlands und insbesondere dessen Schulen war schon lange bekannt. Erste Bemühungen, diese Mängel zu beseitigen, waren aber anscheinend nicht fruchtbar genug. Der am 17. Mai 2019 in Kraft getretene Digitalpakt, der über zwei Jahre lang diskutiert wurde und eine Finanzspritze in Höhe von 5 Milliarden Euro für die Digitalisierung an Schulen versprechen sollte, erweist sich nun als zu langsam.
Der Bayerische Rundfunk recherchierte dazu, dass die Bundesländer insgesamt erst rund 40 Millionen Euro des Digitalpaktes freigegeben haben. Zudem soll es große Differenzen zwischen den einzelnen Ländern geben. Diese sollen nämlich unterschiedlich schnell der Vorgabe nachgekommen sein, individuelle Förderrichtlinien zu entwickeln, die jeweils festlegen, wann und wie die Schulträger Gelder beantragen können. Zudem besteht eine weitere Vorgabe darin, ein Medienkonzepts zu erstellen, was sich in Zeiten von Lehrermangel und besonderen Förderbedarf durch Integration und Inklusion als problematisch und ressourcenraubend erweisen kann.
„Also generell in der Krise zeigen sich die Problematiken, die schon da waren. Und diese fehlende Digitalisierung ist eines der Probleme. Im Moment, Stand jetzt, sind wir noch in der Steinzeit.“
Nadja Wintermeyer, Leiterin der Burkhard-von-Hohenfels-Grundschule in Sipplingen am Bodensee
Bisher gibt es keine einheitlichen Regelungen, wie der Schulunterricht außerhalb des Klassenraums stattfinden soll. Zunächst mussten nämlich grundsätzliche Fragen geklärt werden, beispielsweise wie die Kommunikation zwischen Lehrenden und Schülern stattfinden soll. Es ergaben sich laut Armin Himmelrath, Journalist und auf Bildungsthemen spezialisiert, schon da Probleme, an welche E-Mail-Adresse Lernaufgaben geschickt werden sollen.
Neben technischen Defiziten, wie fehlenden Druckern oder einer schwachen Internetverbindung daheim, sieht Himmelrath ein Problem in der Vermittlung von Lernstoffen. Dies betrifft insbesondere Kindern aus bildungsfernen Schichten. Es soll nun besonders achtgegeben werden, dass diese unter den problematischen Umständen nicht abgehängt werden. Himmelrath sagt auch, dass die aktuelle Situation die Vermittlung von Schulstoff insofern erschwert, dass bestimmte Strukturen, wie die Einhaltung von Lernblöcken und Pausen, wegfallen.
Jedoch gibt es auch Hoffnung. Himmelrath sieht die aktuelle Krise als möglichen Motor für die Herausbildung neuer Ideen und Herangehensweisen. Es gäbe Lehrer, die ohnehin mutig gegenüber digitalen Lösungen sind. Außerdem zwinge die aktuelle Lage Lehrende dazu, sich mit dem Thema Digitalisierung auseinanderzusetzen. Es muss nun überdacht werden, wie auch digital Lerninhalte vermittelt, Strukturen geschaffen und Erfolge erzielt werden können. Nur in der Auseinandersetzung mit dem Thema digitale Bildung kann eine funktionierende Lehre geschaffen werden. Wie Schüler dem Online-Magazin DW mitteilen, läge das Problem nämlich auch bei Lehrern und deren fehlender Kenntnis technischer und digitaler Mittel. "Bei uns an der Schule haben die meisten Lehrer überhaupt keine Ahnung von Technik", so der 16-jährige Karl, der die 10. Klasse eines Berliner Gymnasiums besucht.
Während der Digitalpakt technische Mittel bereitstellt, schafft die Krise einen Reflexionsraum, innerhalb dessen pädagogische und didaktische Herangehensweisen überdacht werden. Die Finanzspritze allein hätte dies nicht schaffen können. Laut dem Journalisten kommen jetzt neue Überlegungen und Denkweisen auf, die ohne die aktuelle Situation unwahrscheinlich wären.
Verbandsvorsitzender Udo Beckmann geht davon aus, dass die Krise auch bis nach Ostern anhalten wird und dementsprechend Schulen weiterhin geschlossen bleiben. Wenn dies eintrifft, müssen die Länder zusammenarbeiten und darauf achten, dass an jedem Standpunkt die gleiche Qualität an Lehre geboten wird. Außerdem ist es wichtig, dass nicht nur das Lehrpersonal, sondern auch Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiter und Schulpsychologen zusammenarbeiten und sich gegenseitig bei diesen neuartigen Herausforderungen unterstützen.
Es kann nicht vorausgesetzt werden, dass über Nacht eine Lösung gefunden wird und sich nun digital bestens ausgestattete Schulen herausbilden. Jedoch lässt die aktuelle Situation darauf hoffen, dass die prekäre Lage einen Denkprozess einleitet, der unsere zukünftigen Bildungseinrichtungen neugestalten könnte.