16. April 2020 (aktualisiert am 20. Oktober 2021) Erstellt von Viktoria Szostakowski Digitalisierung
Die Corona-Pandemie stellt bisher die größte Krise des 21. Jahrhunderts dar. Um diese zu bewältigen, werden neue Maßnahmen als auch viele Umstellungen erfordert, die eine große Veränderung für unseren Alltag bedeuten. Diese schwierige Situation und die drohende Wirtschaftskrise müssen jedoch nicht zwangsläufig ausschließlich negative Folgen nach sich ziehen. Es ist denkbar, dass die aktuelle Krise auch Vorteile für die Arbeitswelt mit sich bringen kann. Unser Arbeitsalltag und die wirtschaftliche Landschaft kann sich, beeinflusst durch die aktuelle Corona-Pandemie, langfristig wandeln und insbesondere in Sachen Digitalisierung weiterentwickeln.
Die Überlegungen rund um das Thema Home Office sind nichts Neues. Schon seit Längerem sehnt sich der Großteil der Arbeitnehmer nach alternativen Arbeitsmodellen, jedoch wurden diese von vielen Seiten kritisiert. So befürchtete das Management, dass produktives Arbeiten von Zuhause nicht möglich ist oder Datenschutzbeauftragte erhoben Einwände bezüglich der IT-Sicherheit. Die besondere Situation, in der wir uns aktuell befinden, zwingt jedoch viele Arbeitgeber, seine Mitarbeiter ins Home Office zu schicken. Selbst Unternehmen, innerhalb derer Home Office bisher nicht denkbar war, setzen nun aufs Arbeiten von Zuhause aus.
Das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) hat eine Befragung zur Verbreitung und Akzeptanz der Arbeit im Home Office durchgeführt. Aus dieser geht hervor, dass die Nutzung des Home Office deutlich gestiegen ist. Vor der Krise arbeiteten 35 Prozent der Befragten im Home Office, mittlerweile betrifft es schon 42 Prozent. 39 Prozent der Befragten, die während der Corona-Krise erstmals im Home Office sind, geben an, dass ihre Arbeitgeberin oder ihr Arbeitgeber zuvor dies nicht erlaubt hätten. Allgemein ist die Akzeptanz gegenüber Home Office gestiegen, lediglich ein kleiner Teil der Befragten (19 Prozent) sind mit der Arbeit im Home Office unzufrieden.
Die Befragung zeigt, dass die bisherigen Bedenken gegenüber Home Office zu revidieren sind. Die besonderen Umstände während der Corona-Krise zeigen, dass die Mitarbeiter durchaus in der Lage sind, sich schnell auf den Wandel einzustellen und die Produktivität unter der neuen Arbeitssituation nicht leidet. Im Gegenteil: Der Großteil der Befragten (68 Prozent) wünscht sich, dass auch nach der Krise mehr Home Office möglich sein wird. Bedeutet diese Entwicklung nun, dass der Weg für mehr Digitalisierung und alternative Arbeitsmodelle geebnet ist? Diese Hoffnung äußert auch Dietmar Harhoff, Professor und Direktor des Münchner Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb. Unternehmen sollen nach der Krise nicht zu alten Organisationsmustern zurückkehren, sondern stattdessen neue Wege gehen und so die Digitalisierung und Innovationsfähigkeit fördern.
Eine wichtige Voraussetzung für funktionierendes Home Office ist ein funktionierender Austausch im Team. Aus diesem Grund sind Teamarbeit-Lösungen wie Slack und Microsoft Teams jetzt besonders gefragt. Diese verzeichnen in letzter Zeit einen hohen Zuwachs an Nutzern. Seit Anfang Februar habe Slack weltweit 9.000 zahlende Neukunden gewonnen, vorher waren es in einem ganzen Quartal 5.000. Insgesamt sind es demnach nun rund 120.000.
Team-Plattformen bieten die Möglichkeit sich per Gruppenchat und Themenkanälen auszutauschen, Dateien zu teilen als auch per Telefon oder Video zu kommunizieren. Slack-Deutschlandchef Oliver Blüher geht davon aus, dass neben dem Wunsch nach Home Office ebenfalls das Bedürfnis nach digitaler Vernetzung und Zusammenarbeit bestehen. Das gelte besonders für den Mittelstand. Die Großkonzerne wiederum seien in diesem Netzwerk die Knotenpunkte. Den Einstieg schafft Slack oftmals über die kostenlose Basisversion, die besonders bei Start-ups beliebt ist.
Auch Microsofts Deutschland-Chefin Sabine Bendiek vermutet, dass die aktuelle Situation die Arbeitswelt langfristig beeinflussen wird. "Ich gehe davon aus, dass diese Veränderungen der geschäftliche Vorteil von cloudbasierten Lösungen anhalten werden. Flexibles Arbeiten von zu Hause wird zunehmend so alltäglich wie die Nutzung von Smartphone und Laptop."
An den Klischees des deutschen Pflichtbewusstseins und der hohen Arbeitsmoral ändert sich vielleicht in Zukunft ja doch was. Das mit dem Begriff „Präsentismus“ bezeichnete Phänomen, bei dem es sich um das Erscheinen bei der Arbeit trotz Krankheit handelt, erfährt nun in Zeiten des Corona-Virus enorme Veränderungen. Aber auch über Corona hinaus ist es denkbar, dass sich in diesem Punkt was ändern wird.
Einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbunds zufolge waren im vergangenen Jahr zwei Drittel aller Arbeitnehmer auf Arbeit, obwohl sie krank waren. Prof. Hannes Zacher von der Universität Leipzig kritisiert diejenige, die trotz Krankheit, unabhängig davon ob es sich um eine gewöhnliche Grippe oder eine Infektion mit Covid-19 handelt, zur Arbeit erscheinen und sich somit in der Öffentlichkeit bewegen. Er geht ebenfalls davon aus, dass die aktuelle Lage einen Reflexionsvorgang bei Arbeitnehmern hervorrufen wird, sodass Krankheiten und die davon ausgehende Gefahr ernster genommen werden.
„Im Grunde ist die Corona-Krise eine natürliche Intervention. Das heißt, das Thema Krankheit, krankheitsbezogenes Verhalten, Präsentismus wird jetzt viel stärker von Menschen im Arbeitskontext und darüber hinaus reflektiert. Ich vermute, dass es künftig nicht mehr selbstverständlich sein wird, mit Husten oder Erkältung zum Arbeitsplatz zu gehen.“ – Prof. Hannes Zacher, Universität Leipzig
Zacher rät Führungskräften dazu, eine Vorbildfunktion einzunehmen. Sprich, der Arbeitgeber soll deutlich machen, dass es völlig in Ordnung ist, bei Krankheit Zuhause zu bleiben. Bei dem oft einsetzenden sogenannten Spill-Over-Effekt werden nämlich Arbeitnehmer von dem Verhalten ihres Arbeitgebers, nämlich erkrankt bei der Arbeit zu erscheinen, angesteckt. Zudem sollten Unternehmen deutlicher kommunizieren, dass bei Krankheitsfällen die Mitarbeiter Zuhause bleiben sollen.
Andreas Herde, Gründer und Geschäftsführer von YeaHR!, und Oliver Burauen, Managing Director und Co-Inhaber von Grapevine Marketing, äußerten sich als HR-Experten zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf Berufsbilder, Führungspositionen und die Generation Z. Zusammen stellen sie sechs Prognosen zur Arbeitswelt nach der Corona-Krise auf.
Herde und Burauen prognostizieren, dass es, trotz der Bemühung seitens der Politik und der Unternehmen, durchaus mehr Insolvenzanmeldungen und Entlassungen geben wird und es somit zu teilweise freiwilligen oder auch notgedrungenen Neuorientierungen auf dem Arbeitsmarkt kommen wird. Die Experten gehen davon aus, dass die nun deutlich gewordenen Nachteile der Globalisierung zu einer neuen Gründerzeit mit einer lokaleren und regionaleren Ausrichtung führen werden. Auch die Produktion in Fernost wird laut der der beiden Unternehmer neu reflektiert. Beide schlussfolgern daraus, dass der Wunsch nach sinnstiftender beruflicher Tätigkeit gegenüber der kapitalistischen Ausrichtung des Marktes zunehmen wird.
In der aktuellen Krise erfahren wir, welche Berufe besonders wichtig und wertzuschätzen sind. Dazu gehören nicht nur Mediziner und Wissenschaftler, sondern die sonst eher vergessenen Berufe wie Pflegekräfte, Krankenschwestern und Angestellte im Lebensmitteleinzelhandel. Herde und Burauen hoffen, dass auch nach der Krise diese Berufsgruppe mehr Respekt und Wertschätzung erfahren und deren Ansehen allgemein mehr steigt.
Wie die Ergebnisse der Befragung zeigen, birgt die Corona-Krise durchaus das Potenzial, die Digitalisierung in deutschen Büros voranzubringen. In kurzer Zeit mussten sowohl Start-Ups als auch große Konzerne aufs Home Office umsteigen. Dieser schnelle Umstieg hat jedoch gezeigt, dass das sonst befürchtete Home Office einfacher zu realisieren und managen ist als gedacht. Herde und Burauen gehen davon aus, dass alte Arbeitsmuster auch nach der Corona-Krise nachträglich umgestaltet werden.
Als Voraussetzung für den Wunsch nach fortschreitender Digitalisierung und alternativen Arbeitsmodellen sehen die beidem Experten die Herausbildung moderner Führungsstile. Die aktuelle Krise und die daraus resultierenden Maßnahmen erfordern ein Umdenken in Bezug auf die Arbeitsgestaltung. Die Corona-Krise könnte die Führungsetage dazu bewegen, innovative Sichtweisen zu entwickeln und neue Möglichkeiten der Arbeitsgestaltung zu bieten.
In Krisenzeiten, wie der Corona-Pandemie, wird schnell deutlich, welche Unternehmen verantwortungsvoll gegenüber ihren Mitarbeitern handeln und welche Unternehmen hingegen, den Profit gegenüber dem Schutz seiner Mitarbeiter betonen. Die Experten ziehen das Fazit, dass der verantwortungslose Umgang mancher Unternehmen während der aktuellen Krise die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nachträglich prägen wird.
Laut den Experten muss die Generation Z in Zukunft einige Abstriche machen. Diese Gruppe neuer junger Arbeitnehmer überzeugte bisher mit innovativen Ideen und modernen Sichtweisen, weshalb auf dessen Bedingungen und Wünsche vonseiten der Arbeitgeber besonders eingegangen wurde. Die Folgen der Wirtschaftskrise werden diese Möglichkeiten wahrscheinlich stark einschränken. Für die Generation Z bedeutet das, dass sie nun besonders Bereitschaft und Flexibilität unter den neuen Bedingungen zeigen müssen.