04. Januar 2018 (aktualisiert am 11. Juli 2023) Erstellt von Jennifer Schmitz Netze
Das Thema Netzneutralität ist derzeit wieder aktuell: in den USA droht ein Zwei-Klassen-Internet zu entstehen, denn die Regulierungen wurden durch die zugehörige Aufsichtsbehörde aufgeweicht. Kritiker sind empört über diesen Schritt und sehen das freie Internet gefährdet. Doch wieso ist Netzneutralität so wichtig? Und wie sieht es damit bei uns in Deutschland aus?
Netzneutralität meint die Gleichbehandlung aller Daten bei deren Übertragung im Internet sowie einen diskriminierungsfreien Zugang zu Datennetzen. Internetprovider, die netzneutral sind, behandeln alle Datenpakete gleich: Der Sender, der Empfänger, der Inhalt sowie die Anwendung, von der das Paket kommt, sind unbedeutend.
Netzneutralität kann dabei allerdings verschieden streng ausgelegt werden. Eine vollkommene Neutralität würde alle Daten in allen Fällen absolut gleich behandeln – eine Unterscheidung von Diensten oder sonstigen Kriterien (Plattform, Sender, Empfänger etc.) wird nicht getroffen.
Eine weniger strenge Auslegung würde bedeuten, lediglich gleiche Dienste gleich zu behandeln. Je nach Anforderungen der Dienste hinsichtlich der Übertragungsgüte (Quality of Service) und deren Kategorisierung könnte eine Unterscheidung getroffen werden. So benötigt zum Beispiel Internet Telefonie geringe Datenraten, dabei aber möglichst kurze Paketlaufzeiten. Videos und Dateien hingegen benötigen hohe Datenraten, eine kurze Paketlaufzeit ist aber weniger relevant. Zwischen Diensten mit verschiedenen Anforderungen könnte so, nach der weniger strengen Auslegung der Netzneutralität, eine Priorisierung stattfinden, sofern innerhalb der Kategorien alle Daten gleichbehandelt werden. Auch Tarife mit einer Volumengrenze der Daten sind nach dieser Definition mit der Neutralität vereinbar, sofern für alle Dienste gleichermaßen eine Begrenzung gilt.
Im Hinblick der stark wachsenden Datenmengen sehen Internetanbieter Handlungsbedarf – auch im Hinblick auf die Netzneutralität. Es gibt verschiedene Positionen, wie die steigenden Datenmengen von Internetprovidern bewältigt werden können. Möglichkeit 1: Die permanente Erhöhung der Netzkapazität und den gleichberechtigten Transport aller Daten (Best-Effort-Prinzip) – dies ist die mit der Netzneutralität konforme Art und Weise, aber natürlich auch die investitionsintensivere. Möglichkeit 2: Verschiedene Daten werden mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und in unterschiedlicher Qualität, gemessen an der benötigten Datenrate, transportiert.
Viele Netzbetreiber sind gegen die Netzneutralität und möchten Daten mit verschiedenen Qualitätsgarantien übertragen. Sie argumentieren, dass dies zu einer effizienteren Verhinderung von Datenstaus beiträgt und sie im Falle eines solchen dazu befähigt wichtige Daten mit einer garantierten Übertragungsqualität übertragen zu können. Insbesondere hier sehen Kritiker die Gefahr, Unternehmen könnten eine Monopolstellung einnehmen, indem sie die Internet-Provider für die Bevorzugung ihrer Daten und Inhalte bezahlen.
Eine mittlerweile beliebte Praxis bei einigen Internetanbietern nennt sich Zero-Rating. Dabei werden im Rahmen des Kundentarifs Daten bestimmter Dienste nicht auf das inkludierte Datenvolumen angerechnet. So kann z.B. das Streaming von Musik eines Anbieters auch unterwegs genutzt werden, ohne das verbleibenden Datenvolumen zu belasten. Bei der Deutschen Telekom beispielsweise nennt sich dieses Angebot „Stream-On“. Hier werden die Angebote bestimmter Streaming-Partner (Video und Audio) nicht auf das Inklusiv-Volumen des Telekom-Datentarifs berechnet.
Auch, wenn die Bundesnetzagentur (BNetzA) 2013 Zero-Rating-Dienste als Verletzung der Netzneutralität bezeichnete, so wurden diese Dienste, wie beispielhaft an dem Angebot der Telekom zu sehen ist, prinzipiell erlaubt. An anderer Stelle erteilt die BNetzA der Telekom jedoch Auflagen: Da beim Video-Streaming die Qualität nach einem bestimmten Datenverbrauch auf eine schlechtere Übertragungsqualität gedrosselt wird und Stream-On außerhalb Deutschlands nicht inbegriffen ist, sieht diese hier eine Verletzung. Die Telekom soll nachbessern – diese hat jedoch Einspruch gegen die genannten Auflagen erhoben.
Doch warum wurden Zero-Rating-Angebote, trotz der Kritik von Netzaktivisten und der offensichtlichen Bevorzugung von Partner-Angeboten, überhaupt erlaubt? In Deutschland ist Netzneutralität nicht explizit und fest per Gesetz vorgeschrieben – der Begriff wurde bisher nicht klar definiert. Trotzdem gab und gibt es immer wieder Bestrebungen, die Netzneutralität in Deutschland zu sichern. So trat zum August 2016 das „Gesetz zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten“ in Kraft – das so genannte Gesetz zum Ende des Routerzwangs. Internetprovider können seitdem ihren Kunden keine eigene Hardware mehr auferlegen und damit auch keine eigenen, unwiderruflichen Konfigurationen durchsetzen, die Dienste priorisieren oder diskriminieren könnten. Und auch im April 2017 wurde die Netzneutralität in Deutschland gestärkt: Um eine EU-Novelle durchzusetzen, wurde die Beschleunigung der Datenübertragung gegen Entgelt verboten – eine Ausnahme bildet die „angemessene Verwaltung des Datenverkehrs“.
Öffentliche Diskussionen über die Netzneutralität gibt es nicht nur, wie aktuell, in den USA, sondern auch in der EU. Gesetzentwürfe sollten die Netzneutralität sichern, diese setzten sich aber nicht durch. In den USA wurde der „Global Online Freedom Act“ abgelehnt, der die Netzneutralität festschreiben sollte. Aktuelle Entwicklungen zeigen: Für die Netzneutralität in den USA sieht es nicht gut aus.
Die EU-Kommission argumentiert hingegen, dass ein ausreichender Wettbewerb die Netzneutralität auch ohne gesetzliche Regulierungen schütze. Der Wettbewerb soll dahingehend gestärkt werden, als dass Netzbetreiber ihren Kunden nun über die Qualität des Internetzugangs aufklären müssen und bei Änderung dieser die Kunden zur Kündigung berechtigt sind. Sollte es erforderlich werden, so können nationale Behörden außerdem eine Mindestqualität der Internetanschlüsse vorschreiben oder sogar, sollte dies nicht ausreichen, die Netzbetreiber basierend auf der EU-Rahmenrichtlinie von 2009 zur Neutralität verpflichten.
Wie bereits erwähnt, wurden Gesetzesentwürfe, die die Netzneutralität verankern sollten, in den USA abgelehnt. Noch im November 2014 sprach sich der damalige Präsident Barack Obama jedoch für die Netzneutralität aus. Die Medienaufsichtsbehörde Federal Communications Commission (FCC) festigte daraufhin die Regulierung zur Neutralität der Netze. Diese Regeln beinhielten, dass legale Angebote von Internet-Providern nicht gesperrt oder unterdrückt, verlangsamt oder (gegen Gebühr) beschleunigt werden dürfen.
Doch damit ist es nun vorbei. Mit der Amtsübernahme durch Donald Trump Anfang 2017 wurde die Website des Weißen Hauses zur Netzneutralität gelöscht. Ajit Pai wurde als neuer Vorsitzende der FCC-Regulierungsbehörde eingesetzt – er galt schon im Vorfeld als Gegner der Netzneutralität. Im Februar 2017 kündigte er daher auch an, die Regulierungen zu dem Thema abzuschaffen und ein „freies und offenes Internet“ zu fördern.
Pai will Netzbetreibern erlauben, den Datenverkehr nach ihrem Ermessen zu behandeln und eigene Angebote bzw. andere Dienste gegen Zahlung von Gebühren bevorzugen. Sie müssen lediglich auflisten, welche Dienste zu welchen Konditionen beschleunigt verkehren.
In einer Abstimmung am 14. Dezember 2017 sprach sich die FCC mit 3:2 Stimmen gegen die Netzneutralität aus. Kritiker befürchten nun die Entstehung eines Zwei-Klassen-Internets in den USA.
Experten argwöhnen, dass das Ende der Netzneutralität in den USA auch auf dem deutschen Markt spürbar wird. Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands sagte, dass die Verbraucher die Entscheidung indirekt durch eine schrumpfende Auswahl an Diensten spüren würden. Aufgrund der EU-Leitlinie zur Netzneutralität sähe er diese in Deutschland aber nicht gefährdet.
Netzaktivisten befürchten allerdings, dass die Freiheit der Internetprovider in den USA auch bei den deutschen Telekommunikationsanbietern Begehrlichkeiten wecke und kritisieren erneut die Zero-Rating-Angebote, wie „Stream-On“ (Telekom) oder „Vodafone Pass“ (Vodafone). Diese würden die EU-Verordnung zur Netzneutralität bereits jetzt untergraben.
Wir werden abwarten müssen, ob in den USA nach der Aufweichung der Regulierungen nun wirklich ein Zwei-Klassen-Internet entsteht. Inwiefern diese Entwicklung einen Einfluss auf die Situation in Deutschland und Europa hab, wird sich auch erst in Zukunft zeigen. Konstantin von Notz, Mitglied im Bundestag und der Partei Bündnis 90/Die Grünen erklärte die Netzneutralität einmal als „Garant für ein demokratisches und innovationsförderndes Internet“. Und ist es nicht das, was viele Unternehmen hervorgebracht hat, die uns täglich das Leben erleichtern und uns täglich die Möglichkeit gibt, uns unvoreingenommen zu informieren und unsere Meinung frei zu äußern? Natürlich bringt das Internet nicht nur Gutes mit sich – aber ob wir die Entscheidung, welche Angebote bevorzugt werden und uns daher schneller (oder überhaupt) erreichen, den Netzbetreibern überlassen wollen, ist fraglich.