14. April 2016 (aktualisiert am 20. Juni 2024) Erstellt von Jennifer Schmitz Technik
Die Nachfrage nach schnellem Internet und hohen Bandbreiten steigt: Bandbreitenintensive Anwendungen, wie Netflix, Youtube, Spotify, Skype & Co. werden immer beliebter und auch die parallele Nutzung mehrerer internetfähiger Endgeräte in einem Haushalt erhöht die benötigte Geschwindigkeit der Internetleitung. Um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhalten und eine „Vorreiterrolle“ in Bezug auf digitale Dienste einzunehmen, wurde die Digitale Agenda der Bundesregierung eingeführt. Ziel ist es, bis 2018 flächendeckend eine Bandbreite von mindestens 50 Mbit/s entstehen zu lassen. Aus diesem Grund wird der Breitbandausbau staatlich subventioniert. Bis vor wenigen Jahren wurde zur Erreichung des Ziels der Ausbau von Glasfaser (FTTH/FTTB – Fiber To The Home/Building) forciert.
Nun ist der Glasfaser-Ausbau eine ziemlich große Investition, denn die Netzbetreiber müssen ganz Deutschland "aufbuddeln“, um das Glasfaserkabel zu verlegen und so die politischen Ziele zu erreichen. Währenddessen versprechen Kabelnetzbetreiber bereits Bandbreiten von 100 Mbit/s Downloadgeschwindigkeit. Netzbetreiber, wie der Marktführer Deutsche Telekom, sehen sich unter diesen Wettbewerbsaussichten unter Zugzwang und suchen nach Alternativen, die kurzfristig schnelles Internet bieten, ohne die große zeitliche und finanzielle Investition des Glasfaserausbaus tätigen zu müssen. Die Technik namens Vectoring, bzw. VDSL2 Vectoring, soll dies gewährleisten. Dazu wird durch eine aufwendige Signalverarbeitung auf den Kupferleitungen des Festnetzes mehr Bandbreite zur Verfügung gestellt.
Bei der so genannten „letzten Meile“ des Kupferkabels teilen sich mehrere Teilnehmer das vorhandene Kabelbündel. Diese so genannten Teilnehmeranschlussleitungen tendieren dazu, sich gegenseitig zu beeinflussen. Dies nennt sich „Übersprechen“. Dieses Übersprechen sowie die Leitungsdämpfung, die durch die Länge der Leitung vorgegeben wird, sind die limitierenden Faktoren für die verfügbare Übertragungsrate in einem Kupferkabel.
Beim Übersprechen überlagern sich die verschiedenen Signale aller benachbarten Leitungen. Grund dafür ist, dass zumeist mehrere tausend Teilnehmeranschlussleitungen (TAL) auf engem Raum zusammengefasst sind, die in der Regel unabhängig voneinander von differierenden Anbietern und für verschiedene Zwecke, z.B. ADSL, VDSL, ISDN, Internettelefonie etc. genutzt werden.
VDSL2 Vectoring wirkt diesem Übersprechen entgegen, indem die unterschiedlichen Signale in Echtzeit überwacht und ein „Gegenrauschen“ eingespielt wird. Dadurch erhöht sich die verfügbare Bandbreite. Über kurze Distanzen sollen so bis zu 100 Mbit/s möglich sein. Alternativ lässt sich durch Vectoring eine gleichbleibende Bandbreite über längere Distanzen realisieren. Voraussetzung für die Echtzeit-Überwachung aller Teilnehmeranschlussleitungen, die Vectoring erst möglich macht, ist der alleinige Zugang zum Kabelverzweiger (KVz) oder DSLAM (DSL-Anschlussstelle).
Das Vectoring-Verfahren kann nur ein Netzbetreiber an einem Leitungsbündel einsetzen, da der Parallelbetrieb von vektorisierten und herkömmlichen VDSL2-Leitungen die Effekte des Verfahrens zunichtemachen würde. Deshalb muss, wie bereits beschrieben, der alleinige Zugang zum Kabelverzweiger bei einem Netzbetreiber liegen, sodass dieser die Echtzeit-Überwachung aller Signale realisieren und somit das optimale „Gegenrauschen“ einspielen kann. Hier entwickeln sich bei verschiedenen Interessensgruppierungen Sorgen über die Entstehung eines erneuten Monopols der Deutschen Telekom, denn von rund 330.000 Kabelverzweigern in Deutschland sind nur ungefähr 8.200 von Wettbewerbern erschlossen (Stand 2014). Indem die Deutsche Telekom so alleinigen Zugriff auf über 90 % der deutschlandweiten Kabelverzweiger und somit auf die „letzte Meile“ erhält, entsteht das Potenzial einer Monopolstellung. Aus diesem Grunde musste sich die Telekom die Zustimmung der Bundesnetzagentur (BNetzA) für den Einsatz von Vectoring einholen, die Sie auch vor einigen Tagen erhalten hat.
Hat die Telekom die Hoheit über die letzte Meile, kann die so genannte Entbündelung nicht mehr stattfinden. Durch die Entbündelung der Teilnehmeranschlussleitungen vom Inhaber des Kabelverzweigers, wird anderen Anbietern ermöglicht, ein Angebot für den Endkunden aufzuschalten. Mit Vectoring ist die Entbündelung nicht mehr möglich. Um dem entgegenzuwirken, muss sich die Telekom nun bereit erklären, alternativen Anbietern einen Zugang zum Bitstrom zu gewähren. Beim Bitstromzugang werden Anbietern die vom Endkunden gesendeten Daten über Netzwerkschnittstellen vom KVz-Inhaber bereitgestellt. Diese können so ihr eigenes Angebot für den Kunden zugänglich machen. Auf diese Art entsteht eine digitale Entbündelung. Im Gegenzug soll die Deutsche Telekom einen Bitstromzugang zu den vektorisierten KVz von Wettbewerbern erhalten.
Kritik kommt bei diesem Vorgehen von allen Seiten: ob von Wettbewerbern, Branchenverbänden (wie z.B. Breko) oder Politikern, wie beispielsweise der Verbraucherschutzminister Baden-Württembergs Alexander Bonde vor rund einer Woche. Neben der Angst vor der Re-Monopolisierung stehen Sorgen zu einer aus dem Vectoring entstehenden Stagnation des Glasfaser-Ausbaus im Raum, denn der Ausbau eines bereits bestehenden Netzes ist günstiger und schneller ermöglicht, als der Ausbau des Glasfasernetzes.
Die Aufrüstung der Kupferkabel und die damit einhergehende Vernachlässigung des Glasfaser-Ausbaus ist grundsätzlich keine Investition in die Zukunft. Kurzfristig können so zwar größere Bandbreiten geliefert werden, langfristig ist jedoch nur Glasfaser in der Lage, die immer größer werdende Nachfrage nach hohen Bandbreiten zu erfüllen, denn weder Entfernungen, noch Übertragungsgeschwindigkeiten werden bei dieser Architektur zum Thema. Lediglich zum kurzfristigen Beliefern der Nachfrage sollte Vectoring genutzt werden, denn eine Investition in eine veraltete Infrastruktur kann nie zukunftsweisend sein.